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Peter V. Kunz: «Konkurrenzdenken darf bei Tierschützern nicht aufkommen.»

Peter V. Kunz steht seit einem halben Jahr an der Spitze des STS. Er sagt, wo es im Schweizer Tierschutz hapert – und was gut läuft. Was er von einer Kastrationspflicht für Katzen und den provisorischen Wolfsabschüssen hält. Und wie er den STS mit einem starken Team weiter voranbringen will. Der Professor für Wirtschaftsrecht verrät, weshalb ihn die Delegierten an der nächsten Versammlung wiederwählen sollen.


Interview: Max Fischer

Viele Schweizer annullieren jetzt ihre US-Ferien aus Protest gegen den Zollhammer von Donald Trump. Sie gehen freiwillig für zwei Monate in die Staaten.
Ja, ich mache aber keine Ferien, sondern bin an der «Georgetown University» in Washington DC für ein Forschungsprojekt. Ich arbeite an einem Buch zum neuen Aktienrecht. Dieses ist vor zwei Jahren in Kraft getreten. Ich wollte das Projekt schon längst in Angriff nehmen, aber die Thematik um Tierrecht und Tierschutzrecht kam dazwischen. Ausserdem ist meine anderthalbjährige Tätigkeit im Vorstand und neu als Präsident des Schweizer Tierschutzes STS sehr zeitintensiv. Selbst hier in Washington DC gehörten die ersten sechs Tage voll dem STS. Die Tage waren gefüllt mit Aktenstudium und über drei Tage hinweg Online-Interviews mit der Findungskommission und neuen Kandidaten für den Vorstand.

Gibt es tatsächlich Bewerber – der STS kommt aus einer riesigen Krise?
Und wie! Über 30 Personen haben sich auf die Ausschreibung hin gemeldet. Die Jüngste war erst 29, der Älteste 73. Dabei sind die Anforderungen gemäss Ausschreibung bewusst hoch: Tierliebe allein genügt nicht, es braucht zusätzlich spezielles Expertenwissen in einem wichtigen Bereich wie Tiermedizin, Recht, Marketing, Kommunikation oder Finanzen. Wir haben 12 tolle Leute gefunden, die sich an der Delegiertenversammlung zur Wahl stellen. Auch der Mix ist hervorragend: Sowohl die Romandie als auch der Tessin und natürlich die Deutschschweiz sind vertreten. Die Geschlechterverteilung ist 50 zu 50. Und, ganz wichtig. Ich habe allen eine Frage gestellt: Wie viel Zeit habt Ihr für das Amt?

Ist das matchentscheidend?
Als Vorstandsmitglied muss jede und jeder bereit sein, viel Zeit für den STS einzusetzen. Besonders intensiv ist das Präsidium. Pro Woche wende ich momentan als Präsident etwa anderthalb Tage für den STS auf, was aber nicht so bleiben darf.

Das heisst: Sie arbeiten seit Ihrem Start im März in einem 30 Prozent Pensum für den Schweizer Tierschutz?
Ja, das kann und darf allerdings keine nachhaltige Lösung sein. Sonst bekomme ich Probleme mit meiner Frau! Ich hatte seit meiner Wahl als Präsident etwa 30 zum Teil mehrstündige Sitzungen in den vergangenen fünf Monaten. Deshalb pochte ich stark darauf, dass der neue Vorstand zwölfköpfig ist. Und eben mit fachlich hervorragenden Persönlichkeiten besetzt wird, die auch die erforderliche Zeit haben. Das müssen natürlich nicht 30 Prozent sein, das ist die momentane Belastung des Präsidenten. Aber mit zwölf engagierten Top-Leuten kann der Vorstand Arbeiten delegieren und aufteilen.

Konkret?
Zum Beispiel in neuen Arbeitsgruppen mitarbeiten, die wir gebildet haben, insbesondere im Hinblick auf unsere Sektionen. Eine befasst sich mit der Finanzierung der Sektionen. Ich will Transparenz darüber schaffen, wer wofür Geld vom STS erhält. Eine neue Arbeitsgruppe kümmert sich darum, wie wir neue Sektionen gewinnen können. Wir haben 70 Sektionen. Wir brauchen aber neue Organisationen, die frisches Blut bringen.

Kann das nicht zu Problemen mit bisherigen Sektionen führen?
Nein, ich glaube nicht. Konkurrenzdenken darf bei Tierschützern nicht aufkommen! Neue Leute, neue Ideen, neue Motivationen. Denn Stillstand ist Rückschritt. Das heisst nicht Wachstum über alles: Jeden soll und darf der STS sicherlich nicht aufnehmen. Es muss künftig ein Qualitätsausweis sein, beim STS dabei zu sein, sozusagen als Label für jede Sektion. Deshalb bin ich auch für einen Track Record von zwei Jahren für ein interessiertes Neu-Mitglied. Der Kontakt zwischen STS und seinen Sektionen ist absolut zentral für mich.

Das tönt vielversprechend nach den Chaosjahren 2022 und 2023.
Ich spüre die Aufbruchstimmung und in vielen Kontakten einen grossen Goodwill gegenüber dem STS. Das ist extern der Fall, etwa bei den Medien. aber auch im eigenen Vorstand, bei der Geschäftsleitung, beim Staff sowie den Sektionen. Meine Zusammenarbeit mit CEO Marco Mettler ist eng und äusserst konstruktiv, was mich besonders freut. Marco und ich sind ein Team. Mit der Geschäftsleitung sitze ich neu zweimal jährlich zusammen, was von ihr begrüsst wird.

Aber trotzdem ist es Ihnen noch nicht gelungen, einen für den STS so wichtigen Bundesparlamentarier an Land zu ziehen.
Ja, wirklich sehr enttäuschend für mich! Wir haben mit einem halben Dutzend Parlamentariern gesprochen. Leider erfolglos.

Aber viele Parlamentarierinnen und Parlamentarier halten selbst Katzen, Hunde und Pferde. Da muss ein starker STS doch in deren Interesse sein.
Müsste man meinen. Viele Politiker reden offensichtlich lieber über den Tierschutz als wirklich etwas für den Tierschutz zu tun. Und sicherlich ist eine Sitzung beim Astag oder einem anderen Verband finanziell wesentlich lukrativer als bei uns.

Was macht denn die «Parlamentarische Gruppe Tierschutz» – da ist das Sekretariat doch beim STS angegliedert?
Ein schönes Beispiel, dass es noch nicht richtig klappt. Dieser Kontakt ist momentan leider etwas verkümmert. Beispielsweise führte ich während meiner gesamten Vorstandszeit selbst noch nie mit dieser Gruppe direkte Gespräche, was ich sehr bedaure. An meiner Bereitschaft fehlt es wirklich nicht. Unser neuer Politverantwortlicher beim STS wird hier in jedem Fall stark gefordert sein, diese Kontakte zu erneuern und zu vertiefen. Die Politik ist zentral für uns, und zwar nicht bloss die Bundespolitik, sondern auch die kantonale Politik, die oft vergessen wird.

Kein Witz: Es gibt eine Ombudsstelle für das Tierwohl von Nutztieren – angesiedelt beim Branchenverband Proviande! Wie wäre es mit einem neutralen Ombudsmann für das Tier?
Eine gelungene Idee. Doch die Problematik bei einer Ombudsstelle liegt immer bei den Interessenskonflikten und der Finanzierung. Es müsste eine politisch tragfähige Lösung gefunden werden. Daran glaube ich momentan nicht. Eine Alternative zum Ombudsmann wäre ein eigentlicher Tierschutzanwalt. Im Kanton Zürich hat man vor Jahren damit sehr gute Erfahrungen gemacht, mindestens aus der Perspektive des Tierschutzes. Unser früheres STS-Vorstandsmitglied, die damalige SP-Nationalrätin Martina Munz, hat in einem Postulat im Parlament einen unabhängigen Tieranwalt gefordert. Doch der Bundesrat schmetterte das Anliegen ab. Das hat im Moment in der Schweiz offensichtlich keine Chance. Trotzdem sollte sich der STS nach meiner Ansicht für dieses politische Anliegen einsetzen.

Gibt es eine Alternative mit mehr Chancen? Oder geben Sie auf?
Aufgeben im Tierschutz ist keine Option! Viele kantonale Veterinärämter sind als Behörden leider schwach und ineffizient. Denken Sie an «Hefenhofen». Wenn man nebst diesen Ämtern keine zusätzliche staatliche Institution zum Wohle der Tiere will, so könnte man den Tierschutzorganisationen immerhin Parteirecht für Tierschutzverfahren geben. Dann hätten Organisationen wie der STS die Möglichkeit, in Verfahren vor Behörden oder Gerichten stellvertretend für ein Tier aktiv zu werden. Das liesse sich gerade in der Strafprozessordnung problemlos einführen. Das ist eines der politischen Themen, die der STS nach meiner Meinung angehen sollte.

Ein anderes wichtiges politisches Thema ist die neue Tierschutzverordnung.
Absolut. Da waren wir sehr engagiert. Die Verbesserung des Sozialkontakts bei Pferden und Eseln oder die Erhöhung des Mindestalters für den Import von Welpen haben wir eingebracht. Insgesamt haben wir eine äusserst detaillierte Vernehmlassung abgeliefert, die wichtige Änderungen beeinflusst. Solch eine umfangreiche Arbeit könnte eine kleinere Organisation nicht stemmen. Die politische Einflussnahme gehört zu den Hauptaufgaben des STS, als «Lobby für Tiere».

Aber es gibt noch Lücken in dieser Verordnung.
Ja, und leider nicht wenige. Was mich beispielsweise ärgert: Die Brandschutzmassnahmen in Ställen sind nicht in der Verordnung geregelt. Es darf nicht sein, dass alle paar Wochen ein Stall niederbrennt, und über Monate betrachtet Tausende von Tieren elendiglich verbrennen. Was für ein Horror für diese Tiere! Solche Brandschutzmassnahmen sind nirgends geregelt. Der Bund schiebt die Verantwortung den Kantonen zu, diese wieder dem Bund. Dort gehört sie meines Erachtens auch hin. Diese Thematik ist für uns nach wie vor ein grosses Anliegen, für das wir uns einsetzen. In ein paar Wochen wird es dazu einen «Runden Tisch» des STS mit dem Bund und Landwirtschaftsorganisationen geben.

Das Alter für den Import von Welpen wurde erhöht. Aber ist das nicht nur ein Tropfen auf den heissen Stein? Adoptieren wir nicht zu viele Tiere aus dem Ausland?
Ich erachte «Tieradoptionen» aus dem Ausland als schlecht. In der Tat kommen die meisten Welpen von mafiaähnlichen Organisationen, der «Welpen-Mafia», mit schlimmen Zuchtvarianten. Deshalb sollte man generell auf den Import von Welpen verzichten.

Viele Leute bringen Tiere aus den Auslandsferien in die Schweiz zurück.
Das macht es leider nicht besser. In Ferienlaune und aus persönlicher Betroffenheit lassen sich viele Schweizer Touristen dazu hinreissen, ein schutzbedürftiges oder herziges Tier mit nach Hause zu nehmen. Besser ist jedoch die Hilfe vor Ort. Da leistet beispielsweise die bekannte Susy Utzinger Stiftung (SUST), die ich sehr schätze, ausgezeichnete und wertvolle Arbeit. Denken Sie auch daran, dass die Tierheime in der Schweiz voll sind. Wer wirklich einem Büsi, Hund oder Chüngel helfen will, soll ein Tier aus einem unserer Tierheime «adoptieren».

Tierversuche bewegen die Tierfreunde stark. Wie sind diese in der neuen Tierschutzverordnung geregelt?
Überhaupt nicht, es gibt insbesondere keine Verschärfungen. Tierversuche sind in der Schweiz im wahrsten Sinne des Wortes «heilige Kühe». Und zwar auf allen Ebenen: Grosse Teile der Bevölkerung befürworten sie. Sie haben Angst, dass gewisse Medikamente nicht mehr hergestellt werden. Aber auch Politik und Wissenschaft sind im Allgemeinen sehr für Tierversuche.

Das heisst: Die Lobby von Tierversuchsgegnern ist minim.
Ja, das ist so. Und ich bin froh, dass der STS bei einigen Themen dazu gehört. Wir wie auch der Bund sind für das «3R-Prinzip». Das ist ein ethischer Grundsatz zur Minimierung des Tierleids in der Forschung. Er setzt sich aus den englischen Begriffen «Replace» (ersetzen), «Reduce» (verringern) und «Refine» (verbessern) zusammen. Das Ziel ist, Tierversuche möglichst durch tierversuchsfreie Methoden zu ersetzen, ansonsten aber zumindest die Anzahl der Versuche zu reduzieren und die Belastung für die Tiere so gering wie möglich zu halten. Wir gehen aber noch einen Schritt weiter: Der STS ist für ein Verbot von Tierversuchen des «Schweregrades 3». Das sind die invasivsten Versuche, bei denen Tiere starke Schmerzen, schwere Leiden oder Ängste erleiden, also eigentlich schlicht gequält werden, um zu schauen, ob ein Medikament wirkt. Und am Schluss werden die leidgeprüften Tiere meistens getötet. Das kann nicht sein.

Sie sind aber selber ein Wissenschaftler an der Universität Bern.
Natürlich, und trotzdem finde ich es tragisch, dass die allermeisten Tierversuche durch Universitäten durchgeführt werden. Ich kann Forscher zwar teilweise verstehen, die solche Tests aus wissenschaftlichen Gründen für nötig halten. Als Mensch und Tierschützer muss ich jedoch festhalten, dass ich persönlich schon vor meiner Verbandstätigkeit gegen ein solch inhumanes Verhalten war. Ich bin sehr froh, dass dies auch der Position des STS entspricht!

Setzt sich der STS sonst noch irgendwie für Tierversuchstiere ein?
Ja, ich finde es beispielsweise positiv, dass der STS gemeinsam mit schweizerischen Universitäten mit seinem Projekt «Rehoming – neues Leben für Labortiere» schon Hunderte von Versuchstieren, insbesondere Nager und Kaninchen, vor dem Tod gerettet und diesen einen schönen Lebensabend bei Privatpersonen verschafft hat. Zwar nur ein Tropfen auf einen heissen Stein, aber immerhin. Für diese Tiere hat es sich gelohnt. Leider kennen viel zu wenig Menschen diese Möglichkeit, einem Tier zu helfen, das in seinem Leben viel Schlimmes durchgemacht hat.

Stichwort Wolf.
Ein heikles Politikum, auch beim STS. Das hat sich unter Bundesrat Rösti leider schlecht entwickelt. Der Wolf ist und bleibt nach wie vor ein geschütztes Tier. Deshalb geht mir die jetzige Praxis des präventiven Wolfabschusses in der neuen Jagdverordnung zu weit. Damit wurde die Möglichkeit geschaffen, Wölfe sozusagen auf Vorrat abzuschiessen, bevor sie nachweislich einen Schaden angerichtet haben. Die Folgen sind fatal: Es wurden in diesem Jahr mehrmals falsche Wölfe, auch ganze Rudel, abgeschossen, wie man nachträglich festgestellt hat. Das geht nicht!

Es handelt sich um ein Anliegen der Kantone.
Das ist so. Ich bin aber enttäuscht, wie die Kantone Graubünden, Wallis und Tessin, die mir alle am Herzen liegen, die Wolf-Thematik teils behandeln. Man müsste die Bauern stärker in die Pflicht nehmen und Herdenschutzmassnahmen intensiver fördern. Schade finde ich auch, dass sich der STS nicht stärker beim neuen Jagdgesetz eingebracht hat.

Sie sind ein grosser Katzenfan. Immer grösser wird das Problem mit Streunern. Weshalb keine Kastrationspflicht?
Ich war schon immer dafür. Das Katzenelend ist enorm. Deshalb zählt für mich auch das oft gehörte Argument nicht, jedes Büsi müsse das Recht haben, einmal Mami zu sein. Nein, Blödsinn! Das Leid der Büsis ist einfach zu gross. Eine Regulierung durch Kastration finde ich deshalb richtig. Doch eine solche setzt aus praktischen Gründen wohl eine Registrierung voraus. Nötig wäre dafür eine gesetzliche Verpflichtung. Diese würde auch die Zahl der Aussetzungen von Tieren vor Ferien reduzieren. Zum Glück engagieren sich jetzt schon verschiedene Tierschutzorganisationen für Kastrationen. Allein der STS gibt jährlich dafür fast eine halbe Million Franken aus, was leider in der Öffentlichkeit kaum bekannt ist.

Voraussichtlich nächstes Jahr stimmen wir über die Feuerwerksinitiative ab.
Ja, eine positive Initiative, und zwar für viele Tiere und Menschen. Unsere finanziellen Ressourcen sind aber beim STS beschränkt. Wir können leider nicht alle Volksinitiativen, die uns sinnvoll scheinen, mit Geld unterstützen. Aber ideell stehen wir hinter diesen – auch hinter der Feuerwerksinitiative. Sehr viele Wild- und Haustiere leiden stark, wenn es knallt und tätscht. Wir setzen unser Geld von Spendern und Nachlässen aber im Zweifel eher konkret für Tierschutz-Massnahmen vor Ort ein, wie eben bei den Katzen-Kastrationen, nicht für politische Abstimmungskämpfe.

Es gibt im Tierschutz wie bei Nahrungsmitteln einen Label-Salat. Die Bevölkerung hat keine Übersicht, wer was macht. Es erscheint alles etwas chaotisch.
Ich bin tatsächlich entschieden der Meinung, dass der STS, notabene als Dachverband, als geballte Kraft, als «Lobby der Tiere» gegen aussen viel stärker auftreten müsste. Wir dürfen doch keine Leisetreter sein! Es geht um die Interessen der Tiere.

Wie wollen Sie das erreichen?
Der STS sollte die zentrale Organisation im Tierschutzbereich sein. So wie sich Economiesuisse für die gesamte Wirtschaft, die Bankiervereinigung für die Banken und der Bauernverband für alle Bauern einsetzt, auch wenn sie intern durchaus unterschiedliche Ansichten haben. Andere bekannte Organisationen wie beispielsweise die Stiftung «Tier im Recht» (TIR), der «Zürcher Tierschutz» oder die «Susy Utzinger Stiftung» sollten in Zukunft als Sektionen bei uns dabei sein. Das wäre mein Wunsch und meine Vision. So hätte der Tierschutz in der Schweiz viel mehr Power und Durchschlagskraft. Die jetzige Zersplitterung des Tierschutzes und der Tierschützer ist in meinen Augen das grösste Problem des relativ wenig wirksamen Tierschutzes in der Schweiz. Es gibt zu viele Eifersüchteleien unter Tierschützern!

Rechnen Sie da nicht mit Widerstand dieser Organisationen?
Nein, ich hoffe es zumindest nicht! Allenfalls bin ich etwas naiv, was das Verhältnis unter den Tierschützern und ihren Organisationen anbelangt. Aber wir wollen doch eigentlich alle dasselbe, oder nicht? Das Imponiergehabe und die Selbstinszenierung von Organisationen müssen hinter den Schutz der Tiere zurücktreten. Der STS will sich sicherlich nicht als “Chef” der bisherigen oder auch der hoffentlich neuen Sektionen aufspielen. Jede Sektion war und ist natürlich absolut autonom. Doch wir sollten pragmatischer werden. Der STS sucht einen offenen Dialog mit allen und will Brückenbauer für die verschiedenen Tierschutzorganisationen sein. Eine nationale Dachorganisation hätte sicherlich mehr Einfluss, doch nichts ist so verheerend wie “Futterneid” zwischen den einzelnen Organisationen.

Wie ist das Verhältnis von STS und seinen Sektionen? Der STS funktioniert nicht wie eine Holding, die ihren Tochtergesellschaften sagt, wo’s lang geht.
Genau. Bei uns agieren die Sektionen selbständig – und wir unterstützen sie mit unserem fachlichen Know-how in den verschiedensten Bereichen, wenn sie dies wünschen. Das gemeinsame Label muss aber «Schweizer Tierschutz STS» sein. Nur gemeinsam sind wir stark.

Haben Sie ein Beispiel für die fehlende Einigkeit von Tierschützern?
Jetzt wursteln zu viele herum. Ein Beispiel: Es gab vor einigen Monaten einen «offenen Brief» von vielen verdienten Tierschutz-Organisationen an die Migros, weil deren Fleisch nicht mehr ausschliesslich aus tierschützerisch wertvoller Produktion stammt. Ich als STS-Präsident habe erst aus den Medien von diesem Protestbrief, den ich wohl unterstützt hätte, erfahren! Das kann es nicht sein. Der STS müsste die grosse Kraft im Schweizer Tierschutz sein. Wir Tierschützer müssen endlich mit einer Stimme sprechen: gemeinsam für die Tiere! Nur so erhalten wir Gewicht und Gehör. Mir geht es einzig und allein um das Ziel, das Beste für das Tier zu erreichen.

Kinder und Jugendliche sind für Sie die grossen Hoffnungsträger.
Wenn man sie früh mit dem Wesen der Tiere und deren Umgang vertraut macht, hat man später weniger Probleme im Bereich Tierschutz. Davon bin ich überzeugt. Deshalb befürworte ich auch unsere Aktionen des STS in Schulen, also «Krax» – und die von vielen Tierschützern kritisierten Zoos.

Sehen Sie Ansatzpunkte in den USA, die spannend sind?
Durchaus. Ich war am vergangenen Samstag im «Smithsonian National Zoo» hier in Washington DC. Das ist einer der ältesten in den Vereinigten Staaten. Ich war als Einzelperson eine Ausnahme – der Zoo war voll mit Eltern und deren Kids. Das verwundert nicht, denn der Zugang wird erleichtert: Der Eintritt ist nämlich gratis! Das ist toll und bringt gerade Eltern mit bescheidenen finanziellen Mitteln dazu, mit ihren Kindern den Zoo zu besuchen. Sie sahen den Affen, den Löwen und den Elefanten zu. Sie diskutierten miteinander, beobachteten die Tiere. Genau das ist so wichtig für den Tierschutz. Wenn Sie in Zürich oder Basel mit Ihrer Familie den Zoo aufsuchen, geben Sie dafür schnell eine dreistellige Summe aus.

Weshalb sollen Sie die Delegierten an der nächsten DV am 18. Oktober 2025 wählen?
Weil ich relativ billig bin für mein aktuelles 30-Prozent-Pensum (lacht).

Spass bei Seite.
Ich hatte im März sehr grosse Freude, als ich sah, dass mich sehr viele Delegierte gewählt haben, mehr als 85 Prozent. Vermutlich haben sie realisiert, dass ich zwar nicht der typische Tierschützer bin, aber sehr viel Erfahrung in Bereichen wie Corporate Governance habe, die im STS fehlt.

Wo wollen Sie mit dem STS gemeinsam hin?
Mein primäres Ziel war und ist es, wieder Vertrauen zu schaffen. Nicht zuletzt auch unsere Angestellten wieder stolz zu machen. Ziel Nummer zwei war die Änderung der Organisation in strukturellen Bereichen und drittens wollte ich den STS wieder zum politischen Gewicht machen. Eine Wiederwahl würde mich freuen, weil ich der Meinung bin, dass ich mit Vorstand und Geschäftsstelle auf dem richtigen Weg zu diesen Zielen bin. An diesen hat sich nichts geändert.

Wie steht es um die Vergangenheitsbewältigung?
Es wäre vermessen, zu meinen, in ein paar Monaten könne man all diese Ziele erreichen. Den guten Ruf hat der STS leider innerhalb von zwei Jahren durch Querelen ruiniert. Ich werde an der DV auch über die Aufarbeitung der Vergangenheit informieren, also über das Strafverfahren in Basel und unsere Interne Untersuchungskommission beim STS. Ich werde alle Fragen der Delegierten dazu in der DV beantworten, denn es braucht Transparenz. Wer Fragen hat, soll sie mir dort stellen! Das Strafverfahren der Basler Behörden geht mir zu langsam vorwärts, da werde ich intervenieren müssen. Bis das Vertrauen bei allen wieder da ist, braucht es noch einige Zeit. Immerhin: Seit ich Präsident bin, hatten wir keinen Skandal (lacht)!

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