Doppelter Einsatz fürs Tierwohl
Sophie und Matthias Hauck bewirtschaften einen Schaf- und Gemüsebetrieb an der Südseite der Rigi. Und sie teilen sich ein Pensum beim Kontrolldienst des Schweizer Tierschutz STS. Von diesem doppelten Doppel profitieren alle Seiten – vor allem natürlich die Tiere.
Artikel erschienen im Tierreport 02/2024. Text und Bilder: Simon Koechlin
Im Schafstall herrscht helle Aufregung. Draussen hantieren Sophie und Matthias Hauck mit Steckzaunelementen – und die Tiere wissen genau, was das bedeutet. Sie blöken, drängeln und warten ungeduldig, bis Sophie Hauck ihnen endlich das Gatter öffnet. Ungefähr sechzig Mutterschafe drücken und schieben sich an der 35-Jährigen vorbei, hinaus auf eine Frühlingsweide mit wunderbarem Blick hinunter auf den Vierwaldstättersee. Seit vier Jahren bewirtschaften Sophie und Matthias Hauck den Hof Rotflüelen auf 1100 Meter über Meer an der Rigi-Südseite, hoch über der Gemeinde Gersau SZ. Die beiden haben sich damit einen Lebenstraum erfüllt. Sie, die studierte Botanikerin, hatte zuvor in einer Firma für Landwirtschaftstechnik gearbeitet; er nach einem Jurastudium im Bankwesen. «Wir schauten uns viele Betriebe an – aber in den Hof Rotflüelen haben wir uns sofort verliebt», erzählt der 49-jährige Matthias.
Boden schonen
Der zweite Haupterwerbszweig ist der Gemüsebau. Im Gemüsegarten vor dem Hof baut Sophie vor allem ProSpecieRara-Sorten an – in kleinen Beeten und ohne Einsatz von grossen Maschinen und Pestiziden. Verkauft wird das Gemüse zusammen mit Freilandeiern von rund fünfzig ausrangierten Legehennen an den Wochenmärkten in Küssnacht am Rigi und Zug sowie über Biogemüseabos.
Auf ihren inzwischen rund zwanzig Hektaren Land betreiben die beiden eine regenerative Landwirtschaft. Der vielleicht wichtigste Aspekt dabei ist es, den Bodenaufbau zu verbessern. Um Bodenlebewesen zu schonen, verzichten sie beispielsweise auf ein Umgraben der Gemüsebeete. Und bei der Schafhaltung zäunen sie jeweils nur kleine Flächen ein, welche die Herden in bloss einem Tag abweiden, bevor sie auf die nächste dürfen. «Wir sind Tag für Tag vier Stunden mit dem Zaunstellen beschäftigt», sagt Sophie. «Aber dafür wird die Fläche nur kurz intensiv beweidet.» Danach bleibt sie fast drei Monate lang unberührt und die Vegetation kann sich erholen. Das hat auch Vorteile für die Tiergesundheit. Weideparasiten etwa können sich dank der kurzen Aufenthaltsdauer der Tiere nicht im Boden festsetzen. «Wir haben keine Probleme mit Würmern und müssen kaum je ein Tier deswegen behandeln», erklärt Sophie. Überhaupt machen die beiden beim Tierwohl keine Abstriche – und verzichten dafür lieber auf einige Einnahmen. So wird jedes Mutterschaf nur ungefähr alle zwei Jahre gedeckt – die Tiere sollen nach der anstrengenden Laktationsphase genügend Zeit bekommen, um wieder Energie zu tanken.
Flexible Arbeitsteilung
Das Interesse für das Tierwohl ist die Voraussetzung für die Arbeitsstelle, die sich Sophie und Matthias Hauck neben jener auf dem Landwirtschaftsbetrieb seit etwa einem Jahr ebenfalls teilen: Sie haben gemeinsam ungefähr ein 60- bis 80-Prozent-Pensum beim Kontrolldienst des Schweizer Tierschutz STS, der dem Kompetenzzentrum Nutztiere des STS angegliedert ist. Die beiden führen unter anderem Tiertransportkontrollen und Schlachthofaudits durch und sind beteiligt an STS-Projekten wie «Essen mit Herz», wo es darum geht, das Sortiment von Detailhändlern punkto Tierwohl zu beurteilen.
Nächtliche Kontrolle
Eine solche Kontrolle steht in dieser Nacht an. Matthias Hauck übernimmt sie – und viel Schlaf kriegt er nicht. Ungefähr um 2 Uhr nachts ist er von Rotflüelen losgefahren, nun ist es 4.15 Uhr und er sitzt im Auto vor einem Bauernhof irgendwo im Berner Oberland. Um 4.30 Uhr soll hier ein Viehtransporter zwei Jungochsen aufladen – die ersten auf seiner Tour, die im Schlachthof der Firma Bell in Oensingen SO enden wird. Im Bauernhaus ist noch kein Licht zu sehen. «So langsam müsste jemand wach sein», sagt Matthias Hauck.
Dann tut sich etwas. Die Bäuerin kommt die Treppe herunter und begibt sich in den Stall. Kurz darauf fährt der Transporter vor. Der Chauffeur ist etwas überrascht, Hauck zu sehen, bleibt aber ruhig und freundlich. Die Stichproben des STS-Kontrolldiensts erfolgen unangemeldet. Die Chauffeure erfahren erst an der ersten Annahmestelle, dass sie auf ihrer Transportroute bis zum Schlachthof kontrolliert werden.
Der Chauffeur fährt rückwärts zum Viehgatter, macht die Hintertür auf, fährt die Laderampe herunter und öffnet die beiden daran angebrachten Seitenklappen. Die Landwirtin öffnet das Gatter und bindet es an der Seitenklappe fest, sodass keine Lücke dazwischen entsteht. «Vorbildlich», wird Matthias Hauck später sagen. Überhaupt verläuft das Aufladen der beiden Tiere ruhig und problemlos. Hauck kontrolliert die Grösse des Abteils, in das die Ochsen gesperrt werden. Es darf nicht zu klein sein, aber auch nicht zu gross – sonst würden die Tiere im Lastwagen herumgeschleudert, wenn der Fahrer bremst oder in eine Kurve fährt.
Wo gibts Verletzungsgefahr?
Akribisch kontrolliert Matthias Hauck auch die Einstiegsrampe. Ist sie zu steil? Sind die Leisten genügend dick, die den Rindern als Tritthilfen dienen? Gibt es einen Spalt zwischen Rampe und Lastwagen, der den Tieren gefährlich werden könnte? Sind die Seitenstützen genügend hoch, um zu verhindern, dass ein Rind oder ein Schwein darüberspringen könnte, wenn es in Panik gerät? Beim heutigen Transportfahrzeug ist alles in Ordnung. Auch bei der zweiten Annahmestation läuft alles rund: Ein einzelnes Kalb wird aufgeladen – nicht ohne Gegenwehr. «Aber das ist völlig im Rahmen», sagt Hauck, als die beiden Besitzer und der Chauffeur das Tier mit vereinten Kräften die Laderampe hochstossen.
Beim dritten Posten ist der Kontrolleur zufrieden. Am vierten und am fünften Aufladeort hingegen gefällt ihm nicht alles. Am vierten Ort versucht ein Jungmuni, sich durch den etwas zu breiten Spalt zwischen Laderampe und Gatter zu zwängen. «Wenn das Tier in Panik geriete, könnte es sich dabei verletzen», sagt Hauck. Beim fünften und letzten Posten hat der Landwirt seinen Traktor samt Anhänger parallel zur Wand gestellt, um eine Gasse durch den Stall zum Transporter zu bilden. «Eigentlich eine gute Idee», sagt Matthias Hauck – und der Verlad klappt auch reibungslos. Aufgefallen ist dem Kontrolleur aber eine offene Stelle zwischen Traktor und Anhänger. «Wenn es dumm läuft, versucht ein Tier dort zu entwischen und verletzt sich», sagt Hauck. Laut ihm hätte der Landwirt die neuralgische Stelle mit einem Viehgatter absperren sollen.
In beiden Fällen aber trifft den Transporteur, der heute Nacht kontrolliert wird, keine Schuld. Auch im Schlachthof erledigt er seine Arbeit professionell. Er treibt die Tiere ruhig und rasch aus dem Anhänger – sie nehmen ihren letzten Lebensweg unter die Hufe. Der Chauffeur verabschiedet sich. Matthias Hauck ist zufrieden mit der Professionalität, mit welcher der Transport abgewickelt wurde.
Nutzen ist gegenseitig
Natürlich sei man als Kontrolleur nicht die beliebteste Person auf dem Hof oder auf einem solchen Transportweg, sagt er. «Aber wenn man sich den Leuten gegenüber korrekt verhält, dann bleiben auch sie freundlich.» Zudem, das betonen sowohl Matthias als auch Sophie Hauck, handle es sich um eine wichtige und sinnvolle Aufgabe. Die Präsenz des STS und allein schon die Möglichkeit, dass eine Kontrolle stattfinden könnte, hätten einen positiven Einfluss auf die Tierhaltung in der Schweiz.
Dass die beiden selbst einen Hof führen, hilft ihnen bei der Arbeit im Kontrolldienst. Bei der Umsetzung von Tierschutzvorschriften gebe es zwar kaum etwas zu diskutieren, sagt Sophie Hauck. «Die sind klar – und die Landwirtinnen und -wirte wissen meist auch selbst ganz genau, wenn etwas nicht korrekt ist bei ihnen.» Aber im Umgang mit den Kontrollierten sei Fachkompetenz wichtig. Und bei Diskussionen innerhalb des STS sei die praktische Perspektive oft sehr wertvoll – etwa bei der Frage, ob eine Idee auf einem Hof auch wirklich umsetzbar sei.
Umgekehrt profitieren die beiden und ihr Hof auch von der STS-Arbeit. «Das Know-how im Kontrolldienst ist enorm», sagt Sophie. «Tipps von Arbeitskolleginnen und -kollegen helfen uns zum Beispiel, wenn wir uns überlegen, wie wir den alten Stall erneuern und ausbauen können.» Und Ideen zur Weiterentwicklung des Hofs haben Sophie und Matthias Hauck viele. Etwa das Anlegen eines grösseren Gemüsegartens oder die Herstellung von Joghurt aus Schafmilch. Die Lämmchen würden allerdings auch dann einen Teil der Muttermilch erhalten, das ist für Sophie und Matthias Hauck klar. Denn auf ihrem Hof steht das Wohl der Tiere und der Natur an erster Stelle.