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«Der Tierschutz muss einflussreicher werden – so wie der Bauernverband»

Der bekannte Rechtsprofessor Peter V. Kunz will oberster Tierschützer werden. Mehr Transparenz und weniger
Interessenskonflikte sollen den Dachverband schlagkräftig machen.

Artikel erschienen in Berner Zeitung. Autorin: Jana Kehl.


Peter V. Kunz

Steckt eine Bank in einer Krise oder kommt es in der Wirtschaft zu einem Rechtsstreit, ist Peter V. Kunz rasch zur Stelle. In den Medien ordnet er ein, analysiert und interpretiert. Doch Kunz ist nicht nur seit 20 Jahren Professor für Wirtschaftsrecht und Rechtsvergleichung an der Universität Bern. Seit Januar 2024 ist er auch Mitglied des Zentralvorstands des Schweizer Tierschutzes STS. Und jetzt will er dort im März sogar Präsident und Nachfolger von Piero Mazzoleni werden. Andere Mitstreiter im Rennen um das Amt des obersten Tierschützers gibt es nicht, die Findungskommission und der Zentralvorstand unterstützen die Kandidatur von Kunz einstimmig.

Ein Grund für die mangelnde Konkurrenz dürften die Negativschlagzeilen sein, in welche der STS 2023 geraten war. Zwei suspendierte Vorstandsmitglieder hatten Strafanzeige gegen die damalige Verbandspräsidentin Nicole Ruch und ehemalige Vorstandskolleginnen und -kollegen eingereicht. Dabei ging es um den Vorwurf der ungetreuen Geschäftsführung und überrissene Spesenbezüge. Ruch bestritt die Vorwürfe, wurde aber schliesslich abgesetzt.

Der Schweizer Tierschutz mit seinen rund 70 Sektionen befindet sich in der grössten Krise seiner Geschichte. Wie wollen Sie den Dachverband retten, Herr Kunz?
Der Schweizer Tierschutz muss derzeit zwei Perspektiven berücksichtigen. Einerseits braucht es eine Vergangenheitsbewältigung, um die früheren Missstände aufzuarbeiten. Das ist ein Thema, das von heute auf morgen nicht erledigt sein wird. Nach wie vor läuft ein Strafverfahren in Basel, intern wurde zusätzlich eine
Untersuchungskommission gegründet. Andererseits wäre es mir als Präsident auch ein Anliegen, die bisherige Modernisierung weiter voranzutreiben, damit Interessenkonflikte verhindert und die finanzielle Transparenz sichergestellt werden kann.

Inwiefern dient das dem Tierwohl?
Als Tierschutzorganisation waren wir in den letzten Jahren leider vor allem mit uns selbst beschäftigt. Mit den Reformen müssen wir aber schnellstmöglich schlagkräftiger werden, um wieder primär für den Schutz aller Tiere einzustehen. Das können wir nur, indem wir in der Politik sichtbarer und einflussreicher werden. Als Vorbild dienen für mich etwa der Schweizer Bauernverband oder die Schweizerische Bankiervereinigung, die sehr erfolgreich lobbyieren. Wir haben aber noch grosse strukturelle, personelle und finanzielle Herausforderungen.

Ihre Organisation wird aber wohl andere Politiker für Ihre Anliegen einspannen wollen als die Bankiervereinigung.
(lacht) Ja, wir haben keine Wirtschaftsinteressen, sondern sind eine steuerbefreite Nichtregierungsorganisation. Tierschützer gelten oftmals als wirtschaftsfeindlich und ideologisch links – was nicht zutrifft. Als bürgerlich eingestellte Person hoffe ich darauf, dass wir ein breites politisches Spektrum ansprechen können. Wir sind in unseren Ansichten nicht extremistisch gesinnt. So sprechen wir uns beispielsweise nicht grundsätzlich gegen Tierversuche aus, sondern nur gegen die belastendsten mit Schweregrad 3.

Sie haben auch den Ruf, dass Sie Kritik sehr direkt anbringen.
Daran wird sich nichts ändern, falls ich Präsident des Schweizer Tierschutzes werde. Das weiss der Verband. Wennich etwas als Unrecht ansehe, werde ich das direkt auch vor den Behörden oder der Bauernlobby ansprechen.

Worin wird den Tieren in der Schweiz Unrecht getan?
In verschiedenen Bereichen fehlen schlicht Regelungen. Ein Beispiel: Vor einigen Monaten sind in der Ostschweizüber 800 Schweine bei einem Stallbrand im Feuer verendet. Das ist unter anderem darauf zurückzuführen, dassniemand genau weiss, wer die Brandschutzvorgaben in Ställen regeln soll. Bund und Kantone schieben sichgegenseitig die Verantwortung zu. Grundsätzlich liegt das Problem weniger beim geschriebenen Tierschutzrechtselbst – das im internationalen Vergleich durchaus fortschrittlich ist – als beim Vollzug.

Jüngst haben Sie zwei Bücher zum Thema Tierrecht veröffentlicht. Was hat Sie als Professor für Wirtschaftsrechtdazu veranlasst?
Als Professor habe ich das Privileg, mich mit Themen zu beschäftigen, die mich auch persönlich interessieren und bewegen. In der Kindheit habe ich sehr viel mit Tieren zu tun gehabt, ich bin mit Katzen aufgewachsen. Als ich mich 2019 in der Scheidung von meiner Ehefrau befand, musste ich mich erstmals juristisch mit Dingen wie der «Katzenzuteilung» oder dem Besuchsrecht von Haustieren beschäftigen.

Inzwischen haben Sie und Ihre geschiedene Frau wieder geheiratet. Die rechtliche Frage, wer die Katzen behalten darf, hat sich für Sie persönlich erledigt. Warum blieben Sie am Thema?
Ich habe gesehen, dass tierrechtliche Fragen sehr komplex und anspruchsvoll sind. Gleichzeitig werden diese in derjuristischen Praxis immer häufiger. Die Anzahl von Haustieren nimmt zu, Tiere sind häufig auch Familienmitglieder. Einerseits braucht es gesetzliche Regelungen, damit diese gut geschützt sind. Andererseits sindTierschutzorganisationen unabdingbar, die sich für die Interessen der Tiere einsetzen.

Wie reagiert Ihr Umfeld in Wissenschaftskreisen auf Ihre fachliche Neuausrichtung?
Das Tierrecht wird häufig belächelt, nicht zuletzt in den Medien. Auch in meinem beruflichen Umfeld ist das so. Ein junger Wissenschaftler, der sich auf Tierrecht fokussiert, läuft möglicherweise Gefahr, nicht ernst genommen zu werden. Da ich schon ein relativ alter Mann, beruflich arriviert und noch dazu bürgerlich bin, kann ich mir dies aber erlauben.

Sind Sie deshalb nicht früher in das Tierrecht eingestiegen?
Als Wirtschaftsjurist war ich sehr ausgelastet und kam schlichtweg nicht dazu, mich auf einen zusätzlichen Bereicheinzulassen. Erst nachdem ich 2019 ein 1300 Seiten dickes Buch zum Wirtschaftsrecht geschrieben hatte und 2020 als Dekan der juristischen Fakultät zurückgetreten war, hatte ich den Eindruck, in meiner Funktion allesgesagt zu haben.

Apropos Fachexpertise: Während der Coronakrise haben Sie den Virologen und Epidemiologen vorgeworfen, «zu aktivistisch» zu sein. Wie aktivistisch werden Sie zukünftig als Experte sein?
Aktivismus aus einer wissenschaftlichen Position halte ich nach wie vor für falsch. Grundsätzlich ist es aber nicht so, dass ich als STS-Präsident etwas vertreten müsste, das mich in meiner Funktion als Professor nicht auch überzeugt. Dennoch ist es für mich wichtig, beide Aufgaben zu trennen: Als Lobbyist für das Tierwohl werde ich sicherlich aktivistischer agieren als an der Universität Bern – das ist für mich eine Frage der Transparenz.

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